Sie kennen das Gefühl. Die erste Walze zeigt die glückliche Sieben. Die zweite Walze rastet mit einem satten „Klack“ ein: noch eine Sieben. Ihr Herzschlag beschleunigt sich, die Handflächen werden feucht. Die dritte Walze dreht sich langsamer, die Sieben erscheint, sie ist da, der Jackpot ist greifbar – und dann rutscht sie einen Millimeter zu weit nach unten. Ein Kirsch-Symbol grinst Sie an. Sie haben nichts gewonnen. Ihr Kontostand ist genau um den Einsatz ärmer, den Sie gerade getätigt haben.

Doch seltsamerweise fühlt es sich nicht wie Verlieren an. Es fühlt sich an wie „fast gewonnen“. Und genau das ist der Moment, in dem Ihr Gehirn Sie verrät. Willkommen in der Welt des „Near Miss“ Effekts, dem perfidesten Trick der Glücksspielindustrie, der ganz ohne Zauberei auskommt, sondern rein auf Ihrer fehlerhaften Neurobiologie basiert.

Warum Ihr Gehirn ein schlechter Buchhalter ist

Evolutionär betrachtet macht der „Near Miss“ Sinn. Wenn unser Vorfahre den Speer nach dem Mammut warf und es nur knapp verfehlte, signalisierte das Gehirn: „Guter Versuch, fast getroffen, korrigiere den Winkel ein wenig und versuch es noch mal.“ Das Dopamin spritzte ins System, um die Motivation aufrechtzuerhalten. Knapp daneben war ein Lernsignal.

In der Welt der Online Slots und Zufallsgeneratoren ist dieses Signal jedoch eine fatale Lüge. Ein Spielautomat kennt kein „Knapp daneben“. Der RNG (Random Number Generator) würfelt das Ergebnis in Millisekunden aus. Dass die Walze knapp über oder unter dem Gewinnsymbol stoppt, ist reines Theater. Es ist eine grafische Inszenierung, um Sie bei der Stange zu halten. Für den Computer ist ein „Near Miss“ identisch mit einer Niete. Doch Ihr Steinzeit-Gehirn schreit: „Gleich hab ich’s! Nur noch ein Spin!“

Dopamin für Nichts

Neurowissenschaftliche Studien zeigen Erschreckendes: Bei einem pathologischen Spieler aktiviert ein „Near Miss“ fast dieselben Belohnungszentren im Gehirn wie ein tatsächlicher Gewinn. Das Gehirn belohnt Sie für das Scheitern, solange es spektakulär genug aussieht. Die Software-Entwickler wissen das. Moderne Slots sind so programmiert, dass diese Beinahe-Treffer überzufällig häufig auftreten. Das ist kein Zufall, das ist Design.

Es ist der Grund, warum Sie nach einem solchen Spin sofort wieder auf den „Start“-Knopf hämmern. Die Spielerschutz-Organisationen warnen davor, aber gegen die eigene Biochemie kommt man mit Broschüren schwer an. Man jagt dem Gefühl hinterher, das der „Fast-Gewinn“ ausgelöst hat, in der Hoffnung, dass die Realität beim nächsten Mal mit der Illusion gleichzieht.

Die Illusion der Kontrolle

Besonders gefährlich wird dieser Effekt, wenn er mit der „Illusion of Control“ gepaart wird. Manche Spieler glauben, sie könnten das Ergebnis beeinflussen, indem sie die Walzen manuell stoppen („Skill Stop“). Wenn dann das Symbol knapp daneben landet, denken sie: „Ich habe zu spät gedrückt.“ Das ist Unsinn. Das Ergebnis stand fest, als Sie den Spin starteten. Der Stopp-Knopf verkürzt nur die Animation, er ändert nicht das Schicksal.

Wer in Echtgeld Casinos spielt, muss sich dieser psychologischen Falle bewusst sein. Der „Near Miss“ ist der Köder am Haken. Er kostet Sie Geld und gibt Ihnen dafür nichts als ein billiges chemisches Hochgefühl.

Fazit: Trauen Sie Ihren Augen, nicht Ihrem Gefühl

Wenn Sie das nächste Mal an einem Automaten sitzen und zwei von drei Bonussymbolen sehen, während das dritte knapp vorbeirutscht: Freuen Sie sich nicht. Ärgern Sie sich nicht über „Pech“. Erkennen Sie es als das an, was es ist: Ein Verlust, der sich als Chance verkleidet hat.

Der Automat sagt Ihnen nicht: „Du warst nah dran.“ Er sagt Ihnen: „Du hast verloren, aber ich möchte, dass du dich gut dabei fühlst, damit du weitermachst.“ Seien Sie klüger als Ihr Dopamin-Spiegel. Oder versuchen Sie es zumindest.